Das bleibt im Ohr, das trifft ins Herz

 

MurrhardterZeitung vom 02.04.2019

Mitglieder des Liederkranzes Murrhardt erzählen, wie sie zum Singen gekommen sind – Brücke zwischen den Generationen

Viele Wege führen zum Liederkranz: Es gibt ganz unterschiedliche Geschichten, wie Männer und Frauen, Kinder und Jugendliche zu den Chören des Vereins gestoßen sind. Sie stehen auch für die verschiedenen Möglichkeiten, sich von Musik, dem gemeinsamen Singen und den Auftrittsprojekten begeistern zu lassen.

Die Mitglieder von DaCapo haben auf Schloss Weikersheim – mit Angela (links) und Dietrich Westhäußer-Kowalski (hinten rechts) – für ihren Auftritt am Freitag fleißig geübt. Fotos: privat/J. Fiedler

Von Christine Schick

MURRHARDT. Der Liederkranz Murrhardt besteht aus drei Erwachsenenformationen (Gemischter und Frauenchor sowie DaCapo) sowie den nach Alter gestaffelten vier Kinderchören und blickt auf eine beachtliche Lebensdauer zurück. Vor 190 Jahren hob Ferdinand Nägele (1808 bis 1879) ihn aus der Taufe. Was der wohl heute zu den Chören sagen würde? Fest steht, dass die Altersspanne der Sänger beachtlich ist, sozusagen eine Brücke über verschiedene Generationen schlägt. Eine kleine Abordnung, die zu Gast in der Redaktion ist, erzählt von ihrem Weg zum Liederkranz und der Motivation, zu singen. Es entsteht das Bild eines kleinen Kosmos, den möglicherweise auch Ferdinand Nägele spannend gefunden hätte.

Da ist zum Beispiel Willy Winkle, der seit über 40 Jahren im Liederkranz singt. Seine Frau war schon länger im Verein aktiv und so stieß auch er dazu. Aus seinen Erzählungen ist herauszuhören, dass das Singen und die Geselligkeit für ihn eine gute Verbindung eingingen. Auch in der Familie hat die Musik ihren Stellenwert, und so sammelte Willy Winkle schon zuvor als Bandmitglied und zwar als Schlagzeuger seine Erfahrungen. Es wurde Tanzmusik gespielt, die „richtig gelupft hat“. Mit dem Liederkranz verbinden ihn das Singen, Vorstandsamt, Freundschaften genauso wie viele Fahrten in die Partnerstädte und weitere europäische Länder. Als er nach einem Schlaganfall und Rehaaufenthalt vieles wieder lernen musste, half ihm sein lieb gewonnenes Hobby auf ungeahnte Weise. „Mit dem Singen ist auch die Sprache wiedergekommen“, sagt der 88-Jährige.

In Relation zu ihrem Alter blickt auch Gesina Haas auf eine beachtliche Zeit beim Liederkranz zurück. Die 22-Jährige ist vor über zehn Jahren dazugestoßen. Die Idee einer Schulfreundin, doch mal mitzukommen, erwies sich als Volltreffer. Gesina Haas fing schnell Feuer bei den Projekten des Kinderchors. Lieder und Rollen beispielsweise der Stücke Michel aus Lönneberga, Pippi Langstrumpf oder Lotta aus der Krachmacherstraße begeisterten sie. „Das sind Melodien, die im Ohr bleiben. Wir haben auch gespielt, und die Szenen für den Auftritt vor Publikum zu erarbeiten, hat viel Spaß gemacht“, erzählt sie. Mittlerweile unterstützt sie die Kinderchöre selbst und singt in den Erwachsenenformationen mit. Genauso wie Sina Mohr, deren Singkarriere noch ein bisschen früher, mit fünf Jahren, startete. Bei ihr war es eine Kindergartenfreundin, mit der sie hineinschnupperte, aber auch ihre Oma ist mit von der Partie.

Gänsehautfeeling: Applaus nach einer gelungenen Aufführung

„Mich hat beeindruckt, wie man sich als Gruppe etwas erarbeiten und dadurch zusammenwachsen kann“, sagt die 21-Jährige. „Und wenn dann alles klappt, ist der Applaus des Publikums natürlich toll und sorgt für das entsprechende Gänsehautfeeling.“ Will heißen, wenn Stück, Lied oder Szene berühren und ins Herz treffen. Den Rekord in der Runde stellt Laura Weckenmann auf. Die 13-Jährige startete mit drei Jahren bei den Kleinsten des Liederkranzes. Schwester und Cousine sind auch mit von der Partie, und „das Singen macht einfach Spaß“.

Noch relativ frisch, seit November vergangenen Jahres, dabei ist Ingolf Berkes. Da der moderne Chor DaCapo eigentlich immer auf der Suche nach Männerstimmen ist, wirbt Barbara Stadler ihn. Die Erfahrung für den 62-Jährigen ist neu, aber absolut überzeugend. Er lernt sich als Sänger jenseits von spontanen Einsätzen beim Autofahren kennen, wenn mitreißende Musik im Radio kommt. „Ich finde es faszinierend, gemeinsam mehrstimmig zu singen, bei den Proben und Auftritten diese Konzentration zu erleben“, sagt er.

Genau diese Auftritte sind es, die Andrea Strobel zunächst als Beobachterin anzogen. Dadurch, dass ihre Mutter seit 27 Jahren und ihre Tochter seit einem Jahrzehnt beim Liederkranz sind, erlebt sie viele Aufführungen. Allerdings denkt die 49-Jährige, dass sie nicht singen kann. Chorleiterin Angela Westhäußer-Kowalski machte ihr klar, dass sie das für eine Mär hält, nun ist sie seit sechs Jahren Mitglied. „Bei gemeinsamen Proben wie auf Schloss Weikersheim lernt man sich auch noch mal ganz anders kennen.“

Barbara Stadler, stellvertretende Vorsitzende, nickt. Auch sie kennt den anfänglichen Außenblick. „Ich habe beim Besuch von Konzerten diese Freude gespürt.“ Das Singen begleitet sie schon immer, aber vor rund 35 Jahren wollte sie selbst im Liederkranz aktiv werden. „Mir macht es auch Spaß, immer wieder was Neues zu lernen“, sagt die 63-Jährige. Zum einen sind da die Lieder, zum anderen die Choreografie des Stücks, zu der auch phasenweise Arbeit vor dem Spiegel zu Hause gehört.

Das gemeinsame Sich-etwas-Erarbeiten taucht genauso in den Erzählungen auf wie der Austausch und das Erleben in der Gruppe bei Ausflügen. Diese Motivation ist für Dietrich Westhäußer-Kowalski, der mit seiner Frau Angela die Chöre musikalisch begleitet, wertvoll und gleichsam ein Zeichen der Zeit. „Früher gab es in jedem Ort einen Chor. Heute sind die Menschen mobil, wählen bewusst aus, was sie in ihrer Freizeit machen möchten“, sagt er. Beim Stichwort generationsübergreifende Begegnung und Kindermusicalarbeit kommt das Thema darauf, dass sich das Bild von Chören nicht bei jedem zeitlich mitentwickelt hat. Mitglieder werden immer mal wieder darauf angesprochen, ob sie sich denn bei so einer traditionellen Art des Singens aufgehoben fühlen. Barbara Stadler wehrt sich gegen das verstaubte Image. „Die Leute meinen, dass hier Volkslieder im Zentrum stehen, dabei machen wir fast nur moderne Stücke.“ Aber gibt es nicht auch Volkslieder, die qualitativ hochwertig sind? Eine schwierige Diskussion, stellt Dietrich Westhäußer-Kowalski fest. Von dem, was die Fischer-Chöre singen, grenzt er sich klar ab. „Die kirchlichen Chöre haben es in der Hinsicht viel leichter.“ Die Volksmusik sei nicht klar definiert und tradiert, man verfüge nicht über die entsprechenden Überlieferungen oder Sammlungen.

Für die Mitglieder steht jedenfalls fest: Sie brauchen Musik, die ihnen Spaß macht, die sie selbst gerne in Szene setzen. Auch hier sind Angela und Dietrich Westhäußer-Kowalski gefragt. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, Programme zusammenzustellen, die nicht zu schwer und nicht zu leicht sind, Anforderungen und Machbarkeit vereinen sowie einen roten Faden erkennen lassen. „Das heißt, wir müssen auch vieles selbst arrangieren oder schreiben“, sagt Dietrich Westhäußer-Kowalski. Kein ganz kleiner Zeitaufwand, der auf die Proben aufzuschlagen ist und eher aufs Überzeugungstäterkonto gehört.